Bundesverfassungsgericht
Nach oben Antwort BVG

Home meine Person Erwachsenenbildung Politik Bahnhof Heide Sport Impressum

Brief an den Präsident des Bundesverfassungsgerichts a. D.

 

Änderung des deutschen Wahlrechts

Sehr geehrter Herr Professor Dr. Benda!

In meiner beruflichen Eigenschaft als Lehrer bin ich u. a. auch für die Erteilung des Faches "Gemeinschaftskunde" zuständig. Dabei ist – nicht nur mir – aufgefallen, wie groß die Unkenntnis, aber auch das Desinteresse an politischen Dingen bei jungen Menschen ganz allgemein ist. In diesem Zusammenhang spielen die Erfahrungen, die Jugendliche in ihren Elternhäusern machen, gewiss eine wesentliche Rolle. Begründet wird die Unlust, sich politisch zu engagieren, mit dem bekannten Slogan: „Die da oben tun doch, was sie wollen“.

Tatsächlich scheinen die Eindrücke, die man als Bürger außerhalb der Wahlzeit mit Politikern machen kann, diesem Denken zu entsprechen. Eine Reihe von Skandalen um Politiker rundet diese Eindrücke ab.

Ich selbst beschäftige mich seit sehr vielen Jahren mit dieser Problematik. Damit ist m. E. zwangsläufig die Frage verbunden, was man positiv ändern kann, um

ohne die Kerngedanken der Väter des GG zu verwässern,

• das allgemeine politische Bewusstsein unserer Bevölkerung zu aktivieren, und

• die aktiven Politiker zu zwingen, sich intensiver und direkter als bisher mit den Sorgen, Wünschen und Anregungen aus der Bevölkerung auseinanderzusetzen. Ich vermute, eine mögliche Lösung gefunden zu haben:

In die geltenden Wahlgesetze von Bund, Ländern und Gemeinden wäre folgender Gedanke aufzunehmen:

Wer nach einer Wahl ein Mandat über einen Listenplatz errungen hat, kann im Falle seiner erneuten Kandidatur nur dann wieder ein Mandat erhalten, wenn er sich jetzt einer Direktwahl stellt.

Wer sich einer Direktwahl zu stellen hat, darf nicht zugleich durch einen Listenplatz abgesichert sein.

Wer bei einer nicht durch einen Listenplatz abgesicherten Direktwahl ein Mandat errungen hat, kann bei der nächstfolgenden Wahl ein erneutes Mandat über einen Listenplatz erreichen. Bei der darauf nächstfolgenden Wahl muss sich der Kandidat aber erneut einer Direktwahl stellen. Ein unmittelbares – oder auch mittelbares – Aufeinanderfolge von zwei Mandaten mittels Listenplatz ist demnach ausgeschlossen.

Bei der ersten Kandidatur kann das Wahlverfahren beliebig gewählt sein; beide Wahlmöglichkeiten oder eine Kombination beider Verfahren - d. h. Direktwahl mit Absicherung über einen Listenplatz – wären zulässig.

Wie bisher würde daher die eine Hälfte der Abgeordneten über die Liste und die andere Hälfte über einen direkt gewonnenen Wahlkreis gewählt werden.

Die Folge wäre, dass – wie bisher auch – Kandidaten, die auf die Zustimmung ihrer Wähler stoßen, „auf Dauer“ parlamentarische Arbeit leisten könnten,

a b e r

Kandidaten selbst dann nicht in ein Parlament einziehen könnten, auch wenn sie an der Spitze ihrer Partei stünden, wenn sie nicht zugleich die unauflösbare Bedingung erfüllten, ggf. ihr Mandat im Wege der Direktwahl bei dieser aktuellen Wahl erhalten zu haben.

Ein von den Wählern seines Wahlkreises nicht gewählter Kandidat könnte also unter den oben geschilderten Bedingungen beispielsweise weder das Amt des Bundeskanzlers noch das eines Oppositionsführers antreten, sondern müsste sich auf die reine Parteiarbeit beschränken.

Da dies eine dramatische Folge dieser einen „kleinen“ Änderung des Wahlrechts wäre, gehe ich davon aus, dar die Bevölkerung viel mehr als bisher für politisches Geschehen sensibilisierbar werden dürfte, wenn ihr diese Zusammenhänge erst einmal klar geworden sind.

Ich bin mir dessen bewusst, dass Politiker aller Richtungen sich voraussichtlich vehement gegen solche Gedanken wehren werden, weil sie die Gefahren erkennen dürften, die für sie in solchen Gedanken stecken.

Daher verspreche ich mir auf dem politischen Sektor keine Chancen, meine Überlegungen durchzusetzen. Einen Ansatz sehe ich nur darin, die rechtlichen Grundlagen des bestehenden Wahlrechts in Bezug auf seine Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen.

Nach dem GG sind die Parteien Träger des politischen Geschehens in der Bundesrepublik. Das soll auch nicht geändert werden. Daher müssen die Parteien auch in Zukunft bestimmen können, wer sie als Kandidat vertreten soll.

Nach welchen Kriterien eine Partei ihre Kandidaten aussucht, ist parteiinternes – nicht öffentlich-demokratisches – Verfahren. Es ist unterschiedlich und kann – bei Spitzenpolitikern – abhängig von der jeweils vorhandenen Hausmacht sein. Nach außen hin giriert sich die Kandidatenfindung als eine nach demokratischen Regeln durchgeführte Wahl. Dennoch: Es sollte den Parteien weiterhin unbenommen bleiben, Kandidaten nach einem ihnen genehmen Verfahren intern bestimmen zu können.

Es muss allerdings alles getan werden, um zu erreichen, dass auch alle von einer Partei aufgestellten Kandidaten tatsächlich und ernsthaft für die Bevölkerung zur Wahl stehen. Die einzige Ausnahme ergäbe sich bei der durch einen Listenplatz absicherbaren Erstkandidatur eines Bewerbers.

Gegenwärtig ist es aber so, dass die durch Listenplätze abgesicherten (Spitzen)politiker durch die Bevölkerung nicht abwählbar sind und dass erst auf nachrangigen Plätzen die Zufälligkeit des Wahlergebnisses über ein Mandat entscheidet – letztlich aber erneut ohne die Möglichkeit für die Bevölkerung, über die Person des Kandidaten zu entscheiden.

Nach dem von mir skizzierten Vorschlag könnte sich dieser Vorgang bei der „Erstwahl“ eines über die Liste abgesicherten Bewerbers zwar wiederholen, doch bereits bei der folgenden Wahl müsste sich der Bewerber nunmehr einer Direktwahl stellen.

Meines Erachtens ist ein Wahlgesetz angreifbar, weil in sich fehlerhaft, wenn es (wie jetzt erlaubt) den Parteien das Recht einräumt, ihre Kandidaten in der bisher geübten Form über Listen absichern zu können.

Grundsätzlich vertreten Parteien immer nur einen parteilichen Teil der Bevölkerung, nie aber das gesamte Volk schlechthin.

Es ist zu bedenken:

Gerade der überwiegende Teil der übrigen Bevölkerung hat andere (politische) Vorstellungen als die Parteimitglieder der (soeben zitierten) Partei. Demnach vertritt diese Partei niemals die Interessen des gesamten Volkes und kann das auch gar nicht, wenn sie ihr eigenes Selbstverständnis ernst nimmt. Wie aber kann eine Partei dann den Anspruch zu erheben wagen, das ganze Volk vertreten zu können?

Und das gilt für jede politische Partei.

Mithin ist Parteiendemokratie (ein Widerspruch in sich?) von Anfang an etwas anderes als eine Demokratie im engeren Sinne des Wortes, wenn durch die Demokratie wirklich das ganze (wahlberechtigte) Volk erfasst werden soll.

Stellt daher eine Partei Listen mit Kandidaten auf, so hat nur eine – überdies noch parteilich interessierte und gebundene – Minderheit des Volkes hier – vielleicht(!) – ein Mitspracherecht ausüben können. Und doch ist zumindest bei den großen Parteien sichergestellt, dass die oberen Listenplatzinhaber mit größter Wahrscheinlichkeit erneut ein Mandat erhalten, selbst wenn sie bei einer Direktwahl im eigenen Wahlkreis unterliegen, d. h. von der Bevölkerung ihres eigenen Wahlkreises abgelehnt werden sollten.

Bei Befolgung meines Gedankens wäre es allerdings auch möglich, dass für die politische Arbeit wichtige Frauen und Männer aus dem Parlament ausscheiden müssten, weil sie nicht die Zustimmung der Wähler fanden, obwohl sie vorzügliche Arbeit leisten könnten.

Hier lässt sich einwenden, dass gute Kräfte jederzeit als politische Beamte (oder wie auch immer sonst) von ihren Parteien an das Parlament als Mitarbeiter geholt werden können; allerdings ohne Stimmrecht im Parlament, da sie keine Mandatsträger mehr sind. Diese Gedanken müssten

* hinsichtlich ihrer gesellschaftspolitischen Konsequenzen noch gründlichst durchdacht und auf

* ihre juristische Durchsetzbarkeit genauestens geprüft werden.

Sollten Sie meine Gedanken interessieren und Sie bereit sein, das juristische Procedere mit mir besprechen zu wollen, so würde ich mich sehr freuen, wenn Sie mir einen Termin für ein Gespräch an einem von Ihnen zu bestimmenden Ort einräumen wollten.

Mir persönlich fehlen zu viele Voraussetzungen, um von hier aus und allein meine o. a. Überlegungen durchfechten zu können.

Könnten und wollten Sie Ihre politischen Erfahrungen und Ihren juristischen Sachverstand in diese Vorstellungen einbringen, so verspräche ich mir davon einen außerordentlich großen Rückhalt.

Vorausgesetzt, dass meine o. a. Ausführungen in Bezug auf die juristische Komponente nachvollziehbar und auch durchsetzbar sein sollten, möchte ich sehr gern die erforderlichen Schritte – ggf.. mit Ihrer Hilfe – einleiten, um endlich Bewegung in die politische Landschaft zu bringen und um offensichtlich verkrustete Strukturen wieder aufzuweichen.

Mein Ziel ist, politisches Geschehen für die überwiegende Mehrheit unserer Bevölkerung als demokratisches Leben erscheinen zu lassen, für das sich alle lebhaft interessieren, an dem alle tatsächlich aus eigenem Antrieb teilhaben und in dem sie gestaltend mitwirken können.

Für die Parteien würde das bedeuten, dass sie ihre Arbeit an der Basis verstärken müssten.

Zugleich müsste nach meinem Ermessen für die Parteien die erweiterte und verstärkte Arbeit an der Basis die Folge haben, über eine größere Zahl qualifizierter Bewerber als bisher verfügen zu können.

Der interessierte Bürger schließlich dürfte sich mehr Möglichkeiten als zuvor für seine politischen Interessen ausrechnen. Die Parteien wären nämlich jetzt gezwungen, bei jeder Wahl für ihre Listenplätze eine Vielzahl neuer Bewerber finden zu müssen, da die Mandatsträger aus der letzten Wahl nur noch über eine direkte Wahl wieder in das Parlament gelangen könnten.

Dass auf diese Weise für viele weitere Bürger die Chancen steigen müssten, ebenfalls aktiv im politischen Geschehen mitwirken zu können, liegt auch deshalb auf der Hand, weil die Erstbewerber nach meinen Vorstellungen grundsätzlich über die Liste wählbar wären und damit über eine vorzügliche Möglichkeit verfügten, sich im politischen Geschehen der übrigen Bevölkerung bekannt zu machen.

Das sind die Gründe, weshalb ich mich an Sie wende und Sie um Ihre Unterstützung bitte.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Klaus Westensee